Wenn Muhammed und Amir (Namen geändert) am Nachmittag durch die Espelkamper Innenstadt schlendern, passiert es manchmal, dass sie offensichtlich beäugt werden. Manchmal reden Menschen hinter ihrem Rücken. Was sie sagen, verstehen die beiden Jugendlichen nicht. Sie sind erst vor kurzem in die Stadt gekommen – nach einer langen Flucht aus ihrem Heimatland Afghanistan. Die Jungen sind erst 16 Jahre alt und ganz allein geflohen. Sie haben sich unterwegs kennengelernt, teilen das gleiche Schicksal und leben nun zusammen am Ludwig-Steil-Hof im Sozialpädagogisch-Betreuten-Wohnen (SBW), einer Einrichtung der Jugendhilfe der Evangelischen Stiftung.
Vor der Aufnahme im Ludwig-Steil-Hof waren sie in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und wurden von dort aus dem zuständigen Jugendamt zugeteilt, dass sich hier um Unterbringungsmöglichkeiten kümmert.
Angelika Pörtner ist staatlich anerkannte Erzieherin und arbeitet seit einigen Jahren für den Ludwig-Steil-Hof in genau dieser Einrichtung der Jugendhilfe. Das Schicksal der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge geht ihr ans Herz – mehr jedoch noch die Sorge um das Wohl ihrer Schützlinge. „Die jungen Männer haben eigentlich keine Lobby in der Gesellschaft“, weiß Angelika Pörtner. Das stimme sie traurig, denn aus der täglichen Arbeit mit den jungen Menschen weiß die erfahrene Erzieherin: „Die meisten dieser jungen Menschen haben nur eine große Hoffnung, nämlich die auf ein neues Zuhause hier in Deutschland, auf ein Ankommen in der Gesellschaft. Sie wollen Kontakte knüpfen, Land und Leute kennenlernen, ihr eigenes Geld verdienen“, verrät sie. Die meisten ihrer „Schützlinge“ seien sehr freundlich und hilfsbereit; und das auch untereinander. Sie unterstützen sich, wo immer jemand Hilfe brauche, setzen sich für Schwächere ein. Diejenigen, die schon eine Weile dabei sind helfen den Neuankömmlingen, dolmetschen für sie oder geben weiter, was sie in den vergangenen Monaten bereits gelernt haben. „Und das sind manchmal für uns ganz banale Dinge“, so Angelika Pörtner.
Die meisten der jungen Männer die zum Ludwig-Steil-Hof kommen, haben in der Regel keine oder wenig Schulbildung im Heimatland erfahren. Sie sprechen kein Wort Deutsch und auch Englisch können die allermeisten nicht. Daher hat das Erlernen der Sprache oberste Priorität. „Wir sind sehr froh, dass momentan alle unsere Jugendlichen einen Schulplatz haben“, so Angelika Pörtner. Viele besuchten derzeit die Bischof Hermann Kunst Schule in Espelkamp oder das Berufskolleg in Lübbecke. Einmal in der Woche nachmittags gibt die Kollegin Gabi Jarzombek zusätzlich Sprachunterricht. „Wir stellen immer wieder fest, wie lernbereit die Jugendlichen sind. Sie wollen sich mitteilen können und sind dafür sehr fleißig.“ Manche besuchen zudem einen Sportverein in der Umgebung. Über das Leben im Sportverein können oftmals erste neue Kontakte außerhalb einer „geschützten Einrichtung“ geknüpft werden. „Das ist natürlich wichtig für die Integration“, so Pörtner, vielen falle das jedoch auch schwer. Man dürfe nicht vergessen, dass diese jungen Menschen teils schon einige Jahre auf der Flucht gewesen sind und somit schon sehr früh von ihren Eltern getrennt wurden. Sie seien oft doch sehr unsicher. Vergessen dürfe man zudem nicht, dass zu (fast) jedem dieser jungen Männer eine Familie in dem Heimatland verblieben ist. Da gibt es oftmals großes Heimweh nach der Mutter oder der Familie im Allgemeinen. Den Wunsch dorthin zurückzukehren habe sie allerdings noch nicht gehört, verrät die Erzieherin.
Im Bereich des Sozialpädagogisch-Betreuten-Wohnens leben derzeit ca. 40 junge Menschen im Alter von 16 bis 21 Jahren. Etwa 80 Prozent von ihnen haben Fluchterfahrung und kommen aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Ukraine oder Guinea. Die Jugendlichen werden wochentags in der Zeit von 10 Uhr bis 18 Uhr durch Mitarbeitende des Ludwig-Steil-Hofes betreut und unterstützt. Hilfestellungen bei alltäglichen Aufgaben im Haushalt, beim Einkauf, Banken- oder Behördengängen, Arztbesuche gehören ebenso dazu wie Aktivitäten, beispielsweise das gemeinsame Kochen, Ausflüge und das Feiern von Festen.
Zum Bild:
Ankommen beginnt bereits bei der Begrüßung: eine selbstgebaute Begrüßungstafel auf dem Gelände des Ludwig-Steil-Hofs.